Wenn du in letzter Zeit nicht unter einem Stein gelebt hast, ist es unmöglich, den Aufstieg der Künstlichen Intelligenz (KI) nicht bemerkt zu haben – in nahezu jedem Bereich, von der Medizin bis hin zu den kreativen Industrien. Die neuesten Updates von Tools wie ChatGPT – insbesondere die Bildgenerierung – haben die Marketing- und Branding-Branche erschüttert.
Manche sagen, KI gleiche das Spielfeld aus und zwinge selbst kreative Eliten dazu, mit immer kleineren Budgets zu arbeiten. Andere gehen weiter und befürchten, dass KI menschliche Kreativität vollständig ersetzen könnte.

Die Wahrheit ist: Wir wissen es nicht. Wir können nicht vorhersehen, wie sich das alles entwickeln wird. Die Menschheit hat so etwas noch nie erlebt.
In tausenden Jahren Evolution waren die letzten 100 – besonders die letzten 50 oder gar 10 – technologisch geradezu wild. Unser Gehirn funktioniert noch immer wie vor 2000 Jahren, doch unsere Werkzeuge, unsere Kultur und das Tempo der Veränderung überholen uns ständig. Und die Beschleunigung nimmt weiter zu.
Wo stehen wir also in dieser chaotischen, ungewissen, düsteren Landschaft – geprägt von wirtschaftlicher Unsicherheit, Krieg, Klimawandel und sozialen Spannungen?
Ich persönlich schaue gerne zurück … auf Geschichten. Denn Geschichten haben uns schon immer geholfen, unsere Welt zu verstehen – und vielleicht tun sie das auch heute noch.
Da das Osterfest näher rückt, denke ich besonders über genau das nach: Geschichten. Und darüber, wie sie unsere kollektive Vorstellungskraft, unsere Überzeugungen und unsere Kultur – heute und morgen – prägen.
Spoiler – gleich folgt ein Ausflug in die Geschichte, halt durch:
Der Name „Ostern“ wurde von Sprachwissenschaftlern und Kulturhistorikern viel diskutiert. Zwei Haupttheorien führen ihn auf alte Göttinnen zurück, die mit Frühling, Fruchtbarkeit und Erneuerung des Lebens in Verbindung stehen.
Eine dieser Geschichten ist die von Ishtar, der babylonischen Göttin der Fruchtbarkeit, des Krieges und der Liebe. Sie war mit den Zyklen der Sonne und der Erneuerung verbunden. Die Theorie stützt sich auf lautliche Ähnlichkeiten und symbolische Verbindungen wie Fruchtbarkeit und Eier – jedoch gibt es keine eindeutige etymologische Verbindung zwischen Ishtar und Ostern.
„Easter is nothing else than Astarte, one of the titles of Beltis, the queen of heaven, whose name… was Ishtar.”- Alexander Hislop, The Two Babylons (1853).
Hislop war ein schottischer Pfarrer und Kritiker der römisch-katholischen Kirche, aber auch stark an Geschichte interessiert. Moderne Wissenschaftler betrachten seine Thesen jedoch als nicht belastbar.

Die zweite Theorie ist die von Ostara oder Ēostre – der germanischen bzw. angelsächsischen Frühlingsgöttin. Diese Theorie ist sprachlich besser belegt. Laut dem englischen Mönch Beda Venerabilis leitet sich der englische Name Easter vom heidnischen Frühlingsfest zu Ehren Ēostres im Monat Ēosturmōnaþ (April) ab – einem Fest zur Feier der Erneuerung der Natur.
Bede, The Reckoning of Time, ca. 725 n. Chr.
In den meisten europäischen Sprachen hingegen stammt das Wort für Ostern vom hebräischen Pesach ab – Pasqua (Italienisch), Paște (Rumänisch), Paskha (Griechisch) – ein Hinweis auf den jüdischen Ursprung des Festes und die Nähe der Auferstehung Christi zum Pessach-Fest.
Oxford English Dictionary; Catholic Encyclopedia, 1909; Pelikan, 1971.

Was ist mit dem Osterhasen?
Im 19. Jahrhundert entstand in Deutschland die Geschichte, dass die Göttin Ēostre einen Vogel in einen Hasen verwandelte – und dieser habe dann bunte Eier gelegt. Diese Geschichte ist höchstwahrscheinlich eine moderne Erfindung und kein antiker Mythos.
Die tatsächliche Tradition des Osterhasen beginnt schon im 17. Jahrhundert in Deutschland: Ein Hase namens Osterhase brachte Kindern Eier.

Deutsche Auswanderer brachten diesen Brauch später nach Amerika.
Und genauso wie Schokolade zum Valentinstag die Form von Herzen annahm (siehe: Brands, Holidays and Collective Human Behaviour – link), wurden auch Schokoladeneier und Grußkarten ein fester Bestandteil von Ostern.
Diese Symbole prägten eine neue Welle kommerzieller Bräuche – über ältere Traditionen gelegt.

Es ist inzwischen offensichtlich, dass Ostern nicht nur eine Geschichte ist – sondern ein Geflecht vieler kultureller Fäden. Heidnische Ursprünge, christliche Theologie, moderne Bräuche und kommerzielle Entwicklungen vermischen sich – und genau das macht es zutiefst menschlich.
Wir haben dieser Geschichte im Laufe der Zeit viele Schichten hinzugefügt. Weil wir soziale Wesen sind. Weil wir nach Bedeutung suchen. Weil wir gerne Symbole, Traditionen und Emotionen teilen.
Und genau deshalb glaube ich, dass KI unser Bedürfnis nach Verbindung nicht brechen wird. Eine weitere düstere Theorie, die derzeit im Umlauf ist.
So fortschrittlich sie auch werden mag, so schnell sie sich entwickelt – KI kann das eine nicht ersetzen, was uns seit Jahrtausenden begleitet: unsere Geschichten und das zutiefst menschliche Bedürfnis, sie zu teilen und zu feiern.
PS:
Ich muss dabei unweigerlich an Horus denken, den altägyptischen Sonnengott – ein weiteres Beispiel dafür, wie Menschen über Zeit und Kulturen hinweg ähnliche Geschichten in verschiedenen Formen erzählen. Als Sohn von Isis und Osiris symbolisierte Horus Licht, Wiedergeburt, Heilung und kosmische Ordnung. Geboren nach dem Tod seines Vaters, stand er für die Rückkehr des Lichts nach der Dunkelheit – etwa nach der Wintersonnenwende. Ein Thema, das auch im Osterfest mitschwingt.
Viele haben symbolische Parallelen zwischen Horus und Jesus gesehen: eine wundersame Geburt, der Kampf gegen das Dunkel, der Sieg über den Tod. Es geht nicht um direkte Vergleiche, sondern um gemeinsame Archetypen – und um das zutiefst menschliche Bedürfnis, das Leben durch zyklische Erzählungen zu begreifen, die Hoffnung, Orientierung und Sinn stiften.

PPS:
Und ganz gleich, wie sich KI weiterentwickelt – sie wird niemals echte, authentische Geschichten erschaffen können, denn ihr fehlen echte menschliche Gefühle.
Marken bestehen am Ende aus Geschichten – aus einer kollektiven Fiktion, auf die wir uns alle stillschweigend geeinigt haben. (Yuval Noah Harari)
Author: Ana Armeanu, April 2025
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